THE CRAFT OF MUSICAL COMMUNICATION IN GERMAN
Die Technik der musikalischen Kommunikation
von Keith Hill und Marianne Ploger © 2016
German translation von August Humer und Brett Leighton
Das Spielen eines Musikinstruents ist eine Fertigkeit, die sehr viel mit Technik und Handwerk zu tun hat. Viele Musiker haben es bisher so verstanden. Kontrastierend dazu wird von vielen der Ausdruck, bzw. der Vortrag in der Musik als etwas künstlerisches betrachtet. Diese Ansicht ist uns so vertraut, daß wir sie nur selten in Frage stellen. Die Absicht dieser Arbeit ist es, diese herkömmlichen Auffaßungen zu hinterfragen und andere Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Mit dem Aufzeigen anderer Perspektiven möchte ich nachweisen, daß auch der Ausdruck in der Musik einen handwerklichen Aspekt besitzt. Es ist sozusagen eine Technik, eine handwerkliche Praxis der musikalischen Kommunikation. Im Klaßischen Musikbetrieb kommt es immerhin oft vor, daß jemand ein Musikinstrument technisch tadellos und profeßionell beherrscht, aber kaum Fähigkeiten in der Kommunikation (Vermittlung) aufweist. Es kommt auch vor, daß jemand gar keine besonders nennenswerten technischen Fähigkeiten am Instrument besitzt, dafür aber eine besonders ausgeprägte kommunikative Fähigkeit besitzt. Beide Fähigkeiten haben offenbar wenig miteinander zu tun. Die besten Musiker verbinden allerdings beide Fähigkeiten und wenden sie auch an. Heutzutage scheint es öfters vorzukommen, daß auch sehr bekannte Musiker nur wenige oder gar keine Fähigkeiten in der musikalischen Kommunikation besitzen.
Musikalische Kommunikation ist die Fertigkeit, musikalisches Material, musikalische Information und Abläufe so zu gestalten daß ein normaler durchschnittlicher Musikhörer dem Geschehen folgen, es verstehen und daran auch Gefallen finden kann. Die Absicht dieses Tuns ist eine geistreiches, witziges, erfindungsreiches, geistesgegenwärtiges und empfindungsreiches Spiel, das den Zuhörer durch großartige Musik im Innersten bewegt. Es sind elf Techniken, die zum Erlangen dieser Fertigkeit führen. Einem Hörer mit einem normalen Aufnahmevermögen sollten diese musikalischen Inhalte leicht und unkompliziert verständlich und begreiflich werden. Der (Kognitive) Erkennungsaspekt dieser Techniken ist der Grund dafür, warum diese so wirksam sind. Eigentlich sind diese Techniken zur Gänze aus der Sprachlogik abgeleitet. Alltägliche Ausdrucksweisen und -gewohnheiten, mit denen wir unsere Vorstellungen kommunizieren und präzisieren, sind die Grundlage dieser Spieltechniken.
Die ll kognitiven Techniken sind eine Hilfe zur Intensivierung der musikalischen Kommunikation. Sie sind kein Ersatz für musikalisches Spiel. Musikalität hat einen geistigen Hintergrund und ist eine Grundvoraußetzung für künstlerisches Arbeiten. Wenn diese geistige Grundhaltung bei einem Musiker nicht vorhanden ist, dann werden die Kognitivtechniken das Fehlen der Grundhaltung möglicherweise noch verdeutlichen. Ist jedoch diese geistige Grundhaltung vorhanden, so wird sie durch die Kognitivtechniken offenbar. Die wahre Art der musikalischen Aufführung und Interpretation vereint somit eine solide technische Fertigkeit mit den Praktiken der musikalischen Kommunikation und dem geistigen Hintergrund des Musikers.
Der Terminus Technik läßt schon vemuten, daß es sich bei den ll Techniken nicht urn ein theoretisches Konzept, sondern um eine sehr praktische Handreichung handelt. Deswegen habe ich auch zum Schluß jedes Kapitels einige Vorschlage zur praktischen Anwendung gesetzt. Die Techniken sind anwendungsorientiert. Wenn die Techniken angewendet werden, wird ausdruckßtarkes Spiel entstehen. Werden sie nicht angewendet, so wird der Ausdruck in der Musik fehlen.
Es gibt zwei Arten von Musik. Musik zum Anhören und Musik zum Zuhören. Die Absichten in den ll Techniken sind orientiert auf die Anwendung bei Musik, bei der zugehört wird. ƒhnlich wie bei einer verbalen Kommunikation. Musik, die als Tapete, als Hintergrund oder nicht zum aktiven Zuhören konzipiert ist, sollte nicht mit Anwendung der ll Techniken gespielt werden.
Die ll Wahrnehmungstechniken zur Verbeßerung der musikalischen Kommunikation sind nach der Intensität ihrer Wirkung auf den Zuhörer geordnet:
l. Die Synästhesis- Technik
Synästhesis ist die Vielfalt von verschiedenen gleichzeitigen Wahrnehmungen und Vorstellungen. Das Gehirn ist in der Lage, mehrere Sinneswahrnehmungen gleichzeitig zu erfaßen. Der Seh- Geruchs- und Tastsinn ermöglicht uns mehrfache und gleichzeitige Sinneseindrücke. Von einer einzigen Erbse bekommen wir zum Beispiel die Geschmackswahrnehmungen von der Frucht, von Mehl, Zucker, Salz, Gewürzen, Ei, Butter und dem Resultat des Kochens. Jeder gute Koch weiß um die verschiedenen Geschmacksdimensionen in der Kochkunst richtig Bescheid. Bei jedem Gericht sind salzige, saure, süße, bittere und würzige Elemente in verschiedenen Verhältnißen kombiniert. Wir können auch die verschiedenen Elemente auf diversen Abschnitten der Zunge abschmecken. So entsteht ein synästhetischer Sinneseindruck. Seh- und Geruchßinn reagieren auf ähnlich Weise. Ein Gutteil der Faszination bei der Betrachtung von Claude Monets Bildern ist auf das Vorhandensein aller Farbspektren auf jedem Bildteil seiner besten Arbeiten zurückzuführen. Der Gehörsinn reagiert auf die gleiche Weise. Allerdings ist die heutige Aufführungspraxis von diesen synästhetischen Parametern ganz abgekommen. Dieser Umstand ist auf die Unkenntnis vieler Musiker zurückzuführen, die sich mit den Wechselwirkungen des Gehörten und des Gespielten zuwenig auseinandergesetzt haben.
Obwohl wir die verschiedenen Frequenzen und Klangfarben auch verschieden mit den Ohren aufnehmen, so “hören” wir doch die verschiedenen akustischen Wahrnehmungen nicht auseinander, sondern zusammen. Wenn ein Komponist nun einen vierstimmigen Akkord schreibt und diese vier Töne zusammen gespielt werden, dann wird der Hörer nur einen einzelnen Klang verstehen. Einen vollen Klang - aber nicht mehr . Wenn die vier Akkordtöne in einer Weise gespielt werden, daß die vier Töne nicht ganz exakt zusammen sind, so wird ein normaler Hörer den Klang der vier Einzeltöne, aber auch den akkordischen Klang hören. Es entsteht also für den Hörer eine Klangsumme von fünf Klängen.
Die Synästhesis-Technik erfordert daher eine Spielart mit einer ganz wenig unsynchronisierten Abfolge der verschiedenen Akkordtöne: gerade soviel, daß der Hörer die verschiedenen Klangfarben, Tonhöhen, Melodien, Rhythmen und harmonischen Details wahrnehmen und bewußt hören kann.
Jacob Adlung schreibt l768 in seiner “Musica Mechanica Organoedi” (Bd, Kap. 22) daß das Cembalo meistens arpeggiando gespielt werden soll und daß man die Tasten nicht zusammen oder zu langsam spielen soll, weil der Klang der Saiten rasch entschwindet. Auch Mozart und Chopin haben betont, daß beide Hände beim Spiel niemals zusammen sein sollten.
Das Ergebnis dieser Ungleichzeitigkeit ist folgerichtig daher eine Unabhangigkeit der Stimmführung. Wenn die einzelnen Stimmen wirklich unabhängig und nicht nur ungefähr oder zufällig klingen, dann können die einzelnen Stimmen vom Gehirn wesentlich einfacher verstanden werden. Wenn in der Zwei oder Mehrstimmigkeit die Stimmen als unterscheidbar, aber doch simultan erfahrbar wahrgenommen werden können, dann kann von einer Synästhesis gesprochen werden. Es zählt zu den überraschenden Paradoxa, daß bei einem wirklich unabhängigen Stimmführungßpiel das Klangresultat einerseits komplex erfahrbar, aber andererseits auch leichter faßlich und verständlicher wird. Auch für einen sogenannten Durchschnittshörer. Diese Technik verlangt vom Spieler die Fähigkeit, alle Stimmen absolut unabhängig zu hören und zu gestalten und interaktiv zu agieren.
Wenn die Mehrstimmigkeit so exekutiert wird, wie es heute normalerweise geschieht, daß nämlich alles streng zusarnmen und simultan gespielt wird, dann werden auch die meisten ausgebildeten Musiker kaum die Stimmen auseinander differenzieren können. Wenn das Gehirn diese Spielart hört, so nimmt es den Klang mehr oder minder als Harmonisierung des tiefsten Tons wahr. In der Folge sinkt der Aufmerksamkeitspegel und es wird nur mehr oder weniger das wahrgenommen, was mit dem jeweils tiefsten oder höchsten Ton geschieht. In der Tat scheint es heute selten vorzukommen, daß Musiker zwei Stimmen gleichzeitig in zwei verschiedenen Ausdrucksparametern singend gestalten können. Diese Unfähigkeit geht möglicherweise auf die “tastendreschende” Gewohnheit in der musikalischen Praxis zurück. Paradoxerweise haben diese Gewohnheit auch viele Sänger übernommen. Die Mehrstimmigkeit in der Musik kann aber nur dadurch überzeugend vermittelt werden, wenn diecharakteristischen Unterschiede in den diversen Stimmen deutlich herausgearbeitet werden. Auch wenn eine musikalische Gestaltung durch variable Klangfarben und Lautstärken geschieht, so ist diese Gestaltung doch nicht so wirksam wie die auch nur geringfügige Anwendung der synästhetischen Technik in den verschiedenen Stimmen.
Auch Giovanni Tosi beschreibt in seinem 1736 erschienenen Buch über die Singkunst, daß eine Melodie vor oder nach den Baßtönen schwankend gesungen werden soll. Er verwendet dabei das Wort vacillare. Er sagt, daß dieser Effekt zum Schönsten gehört, was die Musik einem bieten kann. Die Schwankungen, die er beschreibt, geben der Synästhesis- Technik ein besonderes Flair von Freiheit und einen ganz besonders schönen Effekt in der Musik.
Anwendung: Spiele niemals mit beiden Händen zusammen. Spiele im Ensemble nicht völlig synchron mit den Mitspielem. Ausnahmen von dieser Regel gibt es nur zum Schluß des Stückes. Die Simultanereigniße signalisieren dem Gehim, daß die Musik zum Ende kommt.
Anwendung: Singe jede vorhandene Stimme so unanhängig wie nur möglich von den restlichen Stimmen. Versuche die Konzentration auf die ganze Stimmführung zu lenken, um das Absinken des Aufmerksamkeitspegels beim Hörer zu vermeiden.
Anwendung: Wechsle das Vor- und Nachschlagen ab und schwanke. Überlaße die Führung abwechselnd der Ober-und dann wieder der Unterstimme. Das Schwanken folgt den musikalischen Abläufen und der Struktur der Komposition. Beim Führen der Oberstimme hebt sich die Musik, bei der Baßführung gibt die Musik nach.
2. Die InÈgal- oder Entasis- Technik
Entasis ist ein altgriechischer Begriff, der Hineinspannen bedeutet. Ein Sprachduktus, der metrisch perfekt und regelmäßig läuft, veranlaßt im Gehim des Zuhörers nach kurzem eine Leere. Die Bedeutung der gesprochenen Sätze wird innerhalb von wenigen Sekunden nicht mehr verstanden und aufgenommen.
Unregelmäßigkeit bewirkt mehr Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Stabilität und Beständigkeit befreien von dem Unbehagen mit dem Chaos, das das Unberechenbare, Regellose und Instabile mit sich bringt. Der Ausgleich der beiden Extreme, zwischen der sicheren Stabilität und der Erwartung des Irregulären und Unvorhersehbaren ist ein Aspekt der Entasis.
Das Gegenteil von Entasis ist Stasis: Starre, Stillstand und Verweilen. Die Entsprechung von Entasis in der Sprache ist der Fluß der Gedanken. Der Gedankenfluß ist gleichermaßen konstant und unregelmäßig. In Frankreich wurde im l7. und l8. Jhdt die Entasis ganz besonders verstanden: zahlreiche Musiker schrieben darüber und verwendeten den Begriff inÈgal. Diese Wortbedeutung ist: ungeschliffen, rauh, ungleichmäßig, uneinheitlich. Die konventionelle Form der Ausführung dieser Anweisung geht oft an der Sache vorbei, weil die Ausführenden auf einer metrisch gleichmäßigen Spielart beharren. Diese Spielart läßt vermuten, daß ein metrisch genau abgezirkeltes Hinken gefordert ist. Wenn die Franzosen es so gemeint hätten, so hätten sie wahrscheinlich das Wort für Hinken als Spielanweisung gewählt. Möglicherweise hätten sie auch gefordert: spiele Ègal inÈgal, also: spiele gleichmäßig ungleich. Tatsächlich ist der Begriff inÈgal aller Wahrscheinlichkeit nach als kognitiver Begriff im Sinne des Wortes gemeint.
Jeder Ton, der so gespielt wird, daß er vorhersehbar ist, bewirkt eine Art Stasis. In der Stasis gibt es keine Spannung und daher entsteht auch beim Hörer keine Erwartungshaltung auf das Folgende. Ein ausführender Musiker, der die Entasis- Technik nicht versteht, riskiert ein rapides Absinken des Aufmerksamkeitpegels bei seinem Publikum. Berits drei Töne mit zwei gleichen abständen bewirken Langeweile im Gehirn. Innerhalb dieser Zeit nimmt das Gehirn wahr, daß das uweite Erignis dem ersten gleicht, das dritte ebenso wie das zweite und das erste ist, und das vierte dem inzwischen bekannten Muster folgen wird.
Wenn diese Erwartung erfüllt ist, wird das Gehim aus Langeweile resignieren oder sich für andere Dinge intereßieren. Wenn dies paßiert - auch bei dem ausführenden Musiker - so entstehen als natürliches Resultat Fehler. Für den Hörer sind aber diese Fehler, die in einem statischen Kontext paßieren, auffälliger als die Musik selbst. Daraus entsteht ein großes Unglück für den Spieler. Dies ist auch meistens der Grund für die ängstlichen Fehlervermeidungsversuche zahlreicher Musiker und damit der Angst vor einem öffentlichen Auftritt.
Metrische Exaktheit in einer musikalischen Aufführung ist meistens die Garantie dafür, daß der geistige Hintergrund und die Bedeutung von großartigen Musikstücken nicht zum Tragen kommt. Es ist auch sehr oft der Grund dafür, daß diese Musik von vielen Hörern nur angehört wird und daß nicht mehr aktiv zugehört wird. Es ist die Verkörperung von musikalischem Sklaventum, eine metronomische Hörigkeit. Die Entasis- Technik kann eine Hilfe bei der Befreiung von der metronomischen Sklaverei sein. Es ist ganz einfach auszuführen: vermeide das regelmäßige, gleichmäßige und gleichförmige Spiel von Tönen, die in gleichen Notenwerten geschrieben sind.
Die Anwendung dieser Technik ist nicht unproblematisch. Das Hauptproblem ist der mögliche chaotische Effekt. Viele Musiker lehnen dieses Effekt vehement ab. Manchmal ist dieser Effekt auch wirklich unangenehm. Normalerweise wird auch ein zügelloses, unberechenbares oder willkkürliches Gerede von unwirtlichen Zeitgenoßen abgelehnt. Trotzdem wird man finden, daß eine gewiße Logik und Berechenbarkeit, sowie andere Wahrnehmungstechniken es ermöglichen können, daß ein unregelmäßiges und unmetrisches Spiel sehr intensiv wirken kann.
Anwendung: Vermeide ein Spiel strikt nach dem Schlag. Vermeide es, mehr als drei Tone deßelben Wertes gleich lange zu spielen. Auch zwei gleich notierte Tone sollen nie ganz gleich gespielt werden.
3. Die Gesten oder Inflexionstechnik
Die gestische oder Inflexionstechnik dient dazu, musikalische oder verbale Information in größere Zusammenhänge zu gliedern, urn Inhalte klarer und beßer erkennbar zu machen. Sprache steht und fällt mit dem Tonfall und der Flexion. Ein starres und unflexibles Sprechen wirkt ermüdend und langweilig. Ein flexibler und modulationsfahiger Tonfall bewirkt einen viel höheren Aufmerksamkeitspegel. Bei der Musik ist es nicht anders. Auch beim Sprechen verwenden wir viele unregelmäßige Sprachmuster und Sprachgesten und verstärken dadurch den Tonfall. Ohne viel darüber nachzudenken bekommt dieser Tonfall eine quasi parabolische Kurve. Ein gutes Beispiel für diese Form ist die Eiform. Man könnte auch sagen, daß die Form elliptisch ist. Formal bekommen wir dadurch ein Gefühl von Natürlichkeit, Wohlbefinden und liebevoller Zuneigung. Sprache onhe Inflexion ist flach, schwer zu verstehen, ausdruckslos und häßlich. Gleiches geschieht in der Musik.
Um diese logarithmische Geste in der Musik richtig zu dosieren, ist es für den Musiker wichtig, aus dem Studium der Natur die jeweiligen Gestaltungen zu verstehen. Sprachliche Ausdrucksweisen und Sprechweisen leben von gestischen Phrasengruppen, Wortspielen, Sprachbildem. Auch beim musikalischen Spiel wird der Einsatz dieser elliptischen Gestik zu einem natürlicheren, bewegteren und anteilnehmenderen Ergebnis führen.
Anwendung: Die Bedeutungen des musikalisches Materials werden gestisch unterstützt und dadurch klar, deutlich und unzweideutig mit dem Hörer kommuniziert.
4. Die Syntaktische oder Stimmführungstechnik
Die Stimmführungstechnik hängt zusammen mit den syntaktischen, beziehungsweise gramrnatikalischen Eigenschaften der Sprache. Wenn die Wörter dieses Satzes aus dem Kontext geworfen und Zusamrnenhänge durcheinandergewirbelt werden, dann geschieht folgendes: Die Sprache den Eigenschaften die Stimmführungstechnik, syntaktischen, grammatikalischen beziehungsweise mit zu hängt. Dieser anders geordnete Satz ist durch die Gleichbehandlung aller Wörter sinnlos geworden. In diesem Fall entsteht die Unordnung, weil die Satzteile gleich und willkürlich gereiht sind und die Wörter beziehungslos nebeneinander stehen. Die Syntax ist zerstört, damit ist das Ergebnis eine absolute Bedeutungs- und Sinnlosigkeit.
Marianne Ploger, die wichtige Arbeiten über musikalische Wahrnehmung vorgelegt hat, sagt, daß das menschliche Gehim Beziehungsmuster benötigt, um zu verstehen. Wenn zusammenhanglose Muster aufgenommen werden, entsteht Leere und Unverständnis im Gehirn. Diesen Umstand ignorieren wir leider zu oft. Es ist aber diese wortverknüpfende Eigenschaft der Sprache, die syntaktische Logik, die auch der Logik der Musik zugrunde liegt. Dieses logische Konzept in der Musik ist auch die Voraußetzung für den venünftigen Einsatz der InÈgalen oder Entasis Technik.
Sinn und Bedeutung sowohl in der Musik als auch in der Sprache sind also von der Ton/Wort Stellung und der Funktion im Satzbau, den Phrasen und der Satzbildung abhängig. Der grammatikalische Sinn ergibt sich durch die Wortbeziehungen und ist an “angelehnte” oder betonte Töne oder Noten gebunden. Nach Marianne Ploger hat jeder Ton in der Tonleiter einen Bezug zur Tonika, ähnlich wie jedes Wort in einem Satz sich auf das Substantiv/Hauptwort bezieht. Naturgemäß ergibt sich daraus ein Intervall- und Akkordverständnis in den Tonarten, das genau dem Duktus einer verständlichen Sprache mit seinen Phrasen und Sätzen gleicht.
Das ist der Kern der Stimmführungstechnik. Da das Gehirn sozusagen “hartverkabelt” ist, um einen Sinn mittels Grammatik und Phrasen zu erfaßen, bedeutet die Gegenüberstellung mit einer Musik, die kein Gefühl für grammatikalische Tendenz zeigt, daß das Gehirn Herausfinden muß, was diese Tendenzen sind, und zwar ganz allein.Das Problem ist, daß die Musik zu schnell vorbeizieht um das zu ermöglichen, sodaß das normale Gehirn einfach “ausblendet” und in “Schlafmodus” übergeht. Die Frage lautet: Ist dies ein angemeßenes Ergebnis bei der Musikausführung?
Das aüßere technische Mittel zur Stimmführungstechnik ist das legato (im ursprünglichen Sinne des Wortes verstanden, namlich “gebunden”, d.h. “im Verstande gebunden” und nicht lediglich im Ohr), der musikalische Zugang zu diesem legato ist das Cantabile (in seiner wirklichen Bedeutung, namlich “gesungen” und daher in der Art eines wirklich großen Sängers). J.S.Bach wurde für sein kantables Spiel gerühmt: Tatsächlich berichtet F.C.Griepenkerl in einem Brief vom l2.April l842: “Bach selbst, seine Söhne und Forkel trugen die fraglichen Meisterwerke mit einer so großen Feinheit, mit einer so tiefgreifenden Declamation vor, daß sie wie mehrstimmige Gesänge klangen, die von einzelnen großen Künstlern gesungen wurden. Alle Mittel des guten Gesanges waren dabei in Anwendung gebracht, kein Cercar, kein Portamento fehlte und es wurde sogar, wenn ich so sagen darf, an den rechten Stellen, nämlich wo der Satz zu Ende ist, geathmet...bachsche Stücke wollen mit aller Kunst gesungen sein...”
5. Das Kennsignal oder die harmonische Technik.
Die harmonische Technik oder das Kennsignal soll dazu dienen, ein Gefühl der Harmonie zwischen der Seele des Zuhörers und der des Redners hervorzurufen. Menschliche Wesen bringen diese “technische” Außerung hervor, wenn sie den Redner anerkennen oder ihm zustimmen. Die Harmonie zwischen Redner und Zuhörer erfolgt durch diese ƒußerung. Das Fehlen dieser ƒußerung bedeutet ein Mißlingen der Kommunikation oder der überzeugung. Am besten wirkt diese Technik, wenn ihre Geschwindigkeit und Ausführungsart einer gesprochenen Technik am ehesten entspricht.
Hochintereßant ist, daß das im obigen Zitat verwendete Wort “Cercar” im Riemann-Lexikon wie folgt definiert wird: “Cercare della (la) nota [...] Gesangsverzierung des l7.Jh.. Man läßt die obere oder die untere Nebennote kurz und leise vor der Hauptnote erklingen..." Genau so wird das Kennsignal ausgedrückt. Oder anders gesagt, das Kennsignal ist ein Cercar . Heute, jedoch, wird von Sängern klaßischer Musik mit finsterem Blick auf das Cercar geschaut, als wäre es ein Ausdruck äußerster Geschmacklosigkeit. Soll Bach seine eigene Musik geschmacklos gespielt haben? Wem vertrauen wir in dieser Sache? Meine Wahl gilt Bach und dem natürlichen menschlichen Ausdruck.
6. Die Technik der Verzerrung oder vom Packen der Aufmerksamkeit
Diese Technik betrifft jedes Mittel, das dazu verwendet wird, die Aufmerksamkeit des Zuhörers dorthin zu lenken, wo sie der Interpret haben möchte. Sich räuspern ist ein perfektes Beispiel. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf diesen besonderen Moment. Zauberei würde ohne den Einsatz dieses Mittels nicht funktionieren. Zauberer nennen es. Ablenkung. Ein Triller oder jede andere Verzierung ist ein derartiges Mittel. Wenn ein Sänger den Vokal ändert, der während eines langgehaltenen Tons gesungen wird, ist dies eine Verzerrung desursprünglichen Vokals und schafft im Verstand des Zuhörers ein Gefühl von gehobenem Intereße beim langen Ton. Lärm oder “Schmutz” ist ein weiteres Mittel. Die sogenannte acciaccatura ist ein Beispiel für den “Schmutz”, der einem Akkord beigefügt wird.
Ein Beispiel der Verzerrungstechnik hört man wenn ein Sänger die Stimme umschlagen oder brechen läßt, um eine Emotionswirkung hervorzurufen. Ein weiteres Beispiel betrifft dasQuetschen der Saite beim Spielen eines spezifischen Tons auf der Geige, um eine Verzerrung zu erzeugen, die den Ton “mit Aufmerksamkeit lädt”. Die landläufige Definition des Portamentos bezieht sich auf ein Gleiten der Tonhöhe von einem Ton zum nächsten.
7. Die Technik der Sorgenfreiheit oder des “sans souci”
Ich nenne diese Technik “sans souci”, weil sie Augenblicke in der Musik schaffen soll, die ein Gefühl des Achselzuckens geben, vom Hochheben der Hände in einer Geste, die sagt: “Nimm das alles nicht so ernst! ! Lebe ein bißchen! Hör auf mit dem überwachen! Laß los! Sei glücklich! Sorge dich nicht so sehr! Anders gesagt: “sans souci” - sorgenfrei.
Das heißt, wenn die vertikale Ausrichtung der Töne im Notentext eine absolut gleichzeitige Ausführung dergleichen suggeriert, sollten diese im Gegenteil bewußt werden oder auf unregelmäßige oder gestaffelte Art gespielt werden, um eine “sorgenfreie” ( sans souci) Wirkung zu erzeugen. “Eine Rose würde bei jedem anderen Namen gleich süß riechen". Egal ob man es “sans souci” - Technik, “tempo rubato”, “jazziges Gefühl” oder “unzusammenhängend” nennt: die Vorstellung entspannter Mühelosigkeit, die diese Technik der verleiht, ist außchlagebend.
Angst färbt sich auf jeden ab, der sie wahrnimmt. Ein Musiker, der Angst vor Fehler hat, erzeugt im Publikum durch Körpersprache, durch Klang und durch die Art, in der die Musik präsentiert wird, ein Gefühl der Angst. Körperspannung erzeugt Angst. Aufmerksamkeit vertreibt Angst. Mechanisches, metrisches und regelmäßiges Spiel erzeugen Angst. “InÈgal-”, unregelmäßiges und logisches Spiel eliminieren die Angst. übermäßige Sorge um relativ unbedeutende Details erzeugt Angst. Mitreißende Gestik vertreibt die Angst. Wenn man von Sauberkeit beseßen ist, erzeugt man Angst. Wenn man den Sinn und die Absicht scharf einstellt, vertreibt man die Angst. Sorglosigkeit gegenüber der Meinung anderer vertreibt die Angst. Befangenheit schafft Angst. Selbstvertrauen und die absolute Abwesenheit der Befangenheit verbannen die Angst. Das ist die Funktion des “sans souci”. Der Zuhörer kann die Musik nur wahrlich genießen, wenn eine “sans souci”-Umgebung und -Haltung vorherrscht.
8. Die Schrittlängentechnik
In seinen Principes (1702) erklärt St.Lambert, daß das normale Tempo demjenigen eines gehenden Mannes entspricht. Jeder bemerkt durch Beobachtung , daß die Menschen in unterschiedlichem Tempo gehen. Daraus müßte man folgern, daß St.Lambert ein Trottel war. In vergangenen Zeiten beobachtete man eine flache Erde und folgerte aus der Beobachtung, daß die Erde tatsächlich flach war. Wenn wir die Außage St.Lamberts ernst nehmen und herauszufinden versuchen, was genau er beobachtete, dann entdecken wir etwas hochintereßantes, nämlich, daß er recht hatte. Das heißt, wenn man alle beim Gehen beobachtet, gehen sie tatsächlich in unterschiedlichen Tempi, wenn man jedoch nur diejenigen beobachtet, die “an irgendeinen bestimmten Ort ankommen wollen”, dann gehen sie alle im gleichen Tempo, egal wie groß oder klein, wie alt oder jung sie sind. Die einzige Bedingung ist, daß sie gesund, tauglich, stark und normal geformt sind. Das Tempo in dem sie auf ein bestimmtes Ziel hinschreiten ist genau MM 116 pro Minute. Für alle anderen Zwecke gehen Leute in unterschiedlichen Tempi.
Neil deGrasse Tyson
Larry King
Spanish
Hindi
Finnish
Arabic
Farsi
Romani
Navajo
Was das so intereßant macht ist, daß die Musik ñ wie das Denken ñ immer irgendwo spezifisch ankommen will. Es erweist sich, daß dieses “irgendwo” das Ende des Gedankens oder die Kadenz ist. Noch intereßanter: nicht nur g e h e n wir im Tempo MM ll6, wenn wir einbestimmtesziel anpeilen, sondern die meisten Leute r e d e n auch so, daß die normalen Sprachakzente ein Verhältnis von ll6 Schlägen pro Minute zeigen. Das machen wir jedoch nur wenn wir etwas bestimmtes zu sagen haben. Diejenigen, die aus Veranlagung, Temperament, überzeugung oder Gewohnheit wesentlich langsamer als ll6 reden, werden für unaußtehlich langweilig oder träge gehalten, während diejenigen, die erheblich schneller sprechen als ll6 als nicht vertrauenswürdig erachtet werden. Wenn man langsamer redet, erzeugt man einen Affekt der Trägheit oder der schmerzlichen Befangenheit; wenn man schneller redet, erzeugt man den Affekt eines Hochstaplers, der standig bemüht ist, den Leuten Dinge einzureden, die sie nicht tun wollen.
Noch intereßanter ist die Tatsache, daß, während die normalen Akzente unserer Rede im Verhaltnis MM 116 fallen, unsere Momente des Innehaltens oder Nachdrucks, unsere Phrasen und die Dauer der Stille im Gespräch beim Wechsel von einem Redner zum anderen alle im Verhältnis MM 72 stattfinden. Deswegen intereßant, weil, wenn man die Zahl ll6 durch 1,618 dividiert - die Zahl die dem Verhaltnis des “goldenen Schnitts” entspricht - erhält man 72 (oder 71,69, um genau zu sein...)!
Wer diese Beobachtungen zu unglaublich findet, sollte sich selbst davon überzeugen, indem er ein auf MM 116 gestelltes Metronom vor den Fernseher setzt und die Wahrheit selbst entdeckt. Dann sollte man das Metronom auf MM 72 stellen, um die Geschwindigkeit der emphatischen Momente, Pausen, Phrasen usw. zu belegen. Dann sollte man diese Tempi leicht modifizieren, um zu sehen ob Verhältniße wie 118 oder 74 oder 114 oder 70 das gleiche übereinstimmnungsniveau erzeugen. Dann wird man wißen, daß meine Beobachtungen der Wirklichkeit entsprechen.
Was ebenfalls auffällt ist, daß es ein paar andere Tempi gibt, die funktionieren. Diese Tempi sind Vielfache oder Divisionen von 116 und 72, wie z.B. 58 (die Hälfte von 116), 144 (zweimal 72), 96 (viermal 72 dividiert durch 3..ein 3:4-Verhältnis), 108 (dreimal 72 dividiert durch 2..ein 3:2-Verhältnis), 87 (dreimal 116 dividiert durch 4...ein 3:4-Verhaltnis) usw.. Was man daraus schließen kann ist, daß das menschliche Gehirn für die Verarbeitung von gehörter Information in einem präzisen Flußverhältnis vorgesehen ist. Das Flußverhältnis mag sich ändern, je nach Bedeutung, Dichte, Wichtigkeit, Intensität oder Dringlichkeitsgrad. Wenn die Information schneller fließt als sie verarbeitet oder begriffen werden kann, fühlen wir uns überfordert. Wenn sie langsamer fließt als verarbeitet und begriffen werden kann, fühlen wir uns durch die Vortragsweise gehemmt, ungeduldig, irritiert oder gelangweilt.
Das bedeutet, daß man bei der Wahl des Musiktempos all diese Faktoren berücksichtigen muß, bevor dies festgelegt werden kann. Wenn man das richtige Tempo nicht trifft, wird ein Effekt des Zwingens hervorgerufen - falls das Tempo etwas zu langsam ist - oder des Davonrennens - falls es etwas zu schnell ist. Wenn diese Beobachtungen jedoch gänzlich vernachläßigt werden, gründet sich die Tempowahl auf Hoffnung, etwa wie wenn man Lebensmittel einkauft und das Ganze ins Backrohr stellt in der Hoffnung, daß zu gegebener Zeit etwas Eßbares daraus wird. Oder man verläßt sich gänzlich auf das Talent: toll, falls man es hat; nicht so toll, wenn man es nicht hat.
9. Die Technik der Verdünstung oder des Mysteriums
Diese Technik wird am besten auf dynamischen Instrumenten wie Clavichord, Hammer-klavier, Klavier, Violine, Lauten und Gitarren, sowie auch durch die menschliche Stimme ausgefiihrt. Die Verdünstungstechnik ist ein Verringem des Klangvolumens am Ende einer Phrase, bis der Klang ganz verschwindet oder verdiinstet. Die Technik wird auch auf der Leinwand verwendet, wo sie "fade" genannt wird. Die Verdiinstung zwingt den Verstand des Zuhorers, die Phrase irgendwie zu Ende zu fiihren, wahrend sie verschwindet. Indem er mit der Andeutungskraft spielt, kann der Interpret den Musikliebhaber sozusagen auf einen eigens erfundenen Pfad locken. Norrnalerweise ist der Teil der Musik, der verdiinstet, nicht der wichtigste. Wenn man die weniger interessanten Teile der Partitur verdllnsten lasst, werden diese im Verstande des Zuhorers mindestens so stark wie die anderen, wenn auch weniger auffallig.
Vom Standpunkt der Hirnleistung ist das Gehirn dazu bestimmt, auf das einzuklinken, was außerhalb seiner Reichweite erscheint. Aus diesem Grund zieht der Schatten das Auge am meisten an, obwoW dieses dazu bestimmt ist, Licht wahrzunehmen. Wenn Ideen als flach und emphatisch ausgesprochen werden, behandelt sie das Gehirn als unwichtig. Wenn Ideen lediglich angedeutet und durch Folgerung suggeriert werden, ist der Verstand erst dann zufrieden, wenn es alles llber sie weill. Wenn Inforrnation allgegenwartig ist, wird sie zum bestandteil der Landschaft und als solchen von wenigen bemerkt. Alles Mysteriose und Verborgene bereitet der Seele Tantalusqualen. Das ist der Dauerreiz des Spirituellen.
l0. Die Technik des "Timings" oder der Zogerung
Die Technik der Zogerung oder des "timings" wird so angewendet, dass man einen Augenblick zogert, bevor man den wichtigsten Ton einer Linie spielt. Oder man bleibt auf einem Ton viellanger stehen als den geschriebenen Wert. Diese Technik hat mit der Manipulation der Erwartungen des Zuhorers zu tun: welcher Ton wird klingen?; wann erklingt er; wann verklingt er? Diese Technik betriffi die minimale Verzogerung eines kritischen Tons durch den Interpreten - wie eine Zogerung -, damit der Zuhorer gerade genug Zeit hat, um die Suggerierung aufzufangen und den Ton mental zu erganzen, bevor der Interpret diesen schließlich erklingen lasst. Komiker verwenden diese Technik, um das "tirning" eines erwarteten Wortes in ein unerwartetes zu verwandeln, was natllrlich Gelachter verursacht.
11. Die "Excrucis"- Technik
Das Wort excrucis ist aus dem lateinischen abgeleitet: ex = aus, von; und crux = Kreuz. "Excrucis" - wortlich genornrnen - bedeutet "aus dem Kreuz" oder "aus der Kreuzung".Diese Tecbnik betrifR den Umgang mit wichtigen Momenten, die mit Dißonanzen zu tun haben. Wenn die Stimmen in der Musik - von denenjede dem eigenen unerbittlichen Pfad der Logik und des Ausdrucks folgt - in einer Kreuzung zusamrnentreffen, welche eine extreme Dißonanz bildet, die sich dann auf elegante, schone Weise autlost, dann sind diese Momente für die "excrucis"- Tecknik pradestiniert. Bei richtiger Behandlung zeitigen diese Momente einige der "peinigend" schonsten Wirkungen, zu denen die Musik imstande.
Beethoven has most skillfully created a 4 voice fugue with an almost impossible theme in order to create a piece of excruciatingly beautiful music that takes the excrusis technique to the most extreme expression of it. To do this Beethoven grinds the voices against each other causing some of the most dissonant, yet beautiful, sounds composed before the advent of atonal music. Not only does he do this once, but he does it thrice as the music is a triple fugue weaving three themes together in a fabric so dense and exquisite that it stretches the listener's feelings to the uttermost.
Vielleicht die einfachste Art das zu erfaßen ist zu bemerken, wie nahe es dem Gefühl komrnt, das man erlebt, wenn man einen intensiv geliebten Menschen fest umannt ( aus einer gekreuzten Handlung) oder von diesem umannt wird. Es ist so woWtuend, daß es weh tut. Sehr oft sind solche Augenblicke der menschlichen Interaktion mit tiefgreifender Emotion der positivsten, spirituellsten Art geladen. Das ist die kognitive Wirkung der "Excrucis"- Technik. Indem wir diese Momente der Stimmkreuzungen ins beste Licht stellen, verlangsamen wir die Handlung vorübergehend derart, daß der unbefangene Beobachter genau bemerken kann, was paßiert - ohne daß ein Verlust an FluB entsteht -, damit eine Wirkung des Zermalmens entsteht, wenn sich die Dißonanzen reiben und knirschen im Kreuzungsvorgang.
Das sind die kognitiven Techniken, die zur Forderung der Kommunikation notig sind. Der Zweck hinter diesen Tecbniken ist, daß der Interpret die musikalische Information zu klaren, sinnvollen Phrasen verbindet, damit der ZuHörer den Sinn der Partitur erkennen kann. Die Wirkung der Techniken im Verstand des ZuHörers ist eine klare Sicht deßen, was wichtig und was unwichtig ist. Auch benotigt das Gehirn standige und intensive Stimulierung in Form von Unvoraußagbarkeit, Klarheit des Bezugs, Klarheit der Beziehung, ununterbrochenem IdeentluB und einem gelegentlichen Ratsel, um eine wachsame, aufmerksame und scharf eingestellte Gemütsverfaßung auftechtzuerhalten. Das ist die Funktion der Techniken. Diese elfverschiedenen Tecbniken sind Mittel, die notig sind, um zu verhindern, daß das Gehin einscWaft und um Verbindungen herzustellen, die dem ZuHörer die musikalische Hierarchie verdeutlichen. Dinge, die dem ZuHörer klar erscheinen, schaffen in der Seele ein GefüW der Resonanz, das diese dann bewegt.
Carl Philipp Emanuel Bach betonte die Wichtigkeit des Fließenden bei der Wiedergabe von Musik. Das ist hochintereßant, da die Anwendung dieser elfteckniken zu einer Tendenz führen kann, den Fluß zu unterbrechen, durch die Eintlößung von soviel Intereße, Sinn, Charakter, Emotion und Ausdruck. Das Erhalten eines strengen Gedankentlußes ist deshalb für eine "angenehme" (um mit Bach zu sprechen), "lieb"-liche Wiedergabe unerlaßlich. Der Fluß fürdert das Gefühl von Verbindung aller Teile und Aspekte eines gehörten Musikstücks.
In der Musik ist Fluß nicht daßelbe wie Tempo oder Geschwindigkeit. Eine Aufführung kann eine absolut streng eingehaltene Geschwindigkeit zeigen und doch leer an musikalischem Gedankentluß sein. Es sind die musikalischen Gedanken die fließen müßen, nicht die Tone. Die Metapher, die am besten funktioniert ist, daß musikalische Gedanken wie ein großer Fluß tlieben müßen. Die Kehrwaßer, Strudel, Stromungen und Wirbel, die man auf der Waßeroberflache beobachtet, halten niemals die Gesamtbewegung des ganzen Flußes auf...er fließt weiter..egal was paßiert. So sollte es bei musikalischen Gedanken sein.Das Problem beim Gebrauch dieser Techniken ist, daß sie nur wirken, wenn sie offensichtlich sind. Der Trick bei deren Anwendung ist, so offensichtlich wie moglich zu sein, ohne daß irgendeine Technik im brennpunkt der Aufrnerksarnkeit steht. Dies gelingt am ehesten dadurch, daß man alle elf gleichtzeitig verwendet. Wenn man sich vornimmt, alle elf gleichzeitig anzuwenden, wird ein Gebrauch der einen ohne die anderen unmoglich, wodurch alle elf sozusagen in der richtigen Perspektive bleiben. Sobald man ein technisches Mittel zur Erzeugung einer Wirkung bemerkt, dann ist die T echnik nicht richtig ingewendet. Es ist eine heikle Gratwanderung, eine oder mehrere Techniken zu gebrauchen, ohne daß der technische Aspekt in den Mittelpunkt gestellt wird.
Diese Techniken fur dem die musikalische Kommunikation, weil sie im ZuHörer und Interpreten gleichermaßen einen hohen Aufmerksamkeitsgrad verursachen und unterstutzen. "Lieben" und "Aufmerksamkeit schenken" sind ein und daßelbe. Aus diesem Grund gibt es entweder Musikaufführungen, die das Schenken der Aufmerksamkeit unterstlltzen oder welche, die davon steWen: dazwischen gibt es nichts.. Wenn ein hoher Aufmerksamkeitsgrad im ZuHörer erzeugt wird, kann der vom Komponisten beabsichtigte Sinn gespürt werden. Langeweile ist die Alternative. Sehr wenige von uns besitzen die Fähigkeit oder die Kraft, Gefühle der Langeweile zu llberwinden, urn uns aufbedeutungslose Merkmale - d.h. Klangereigniße, die intellektuell verfolgt, jedoch nicht empfunden werden können, weil das Gefühl der Langeweile zu intensiv ist - wie z.b. Kompositionstechnik und Struktur zu besinnen...Merkmale, die eher die "Genialitat" des Komponisten hervorheben als die Gefühle, die der Komponist im ZuHörer erwecken wollte. Aber wenn die Musik in einer Art und Weise aufgeführt wird, die ein hohes Niveau der Aufmerksamkeit im normalen ZuHörer erzeugen soll, werde;tl alle Details der Kompositionstechnik und der Struktur derart hervorgehoben, daß sie der ZuHörer entdecken und schatzen kann.
Wenn all diese Techniken bei der Wiedergabe angemeßen verwendet werden, wird die Ebenz der Musik vom Interpreten effizient mitgeteilt und vom ZuHörer leicht rezipiert. Das Ergebnis von einem extrem geschickten Gebrauch dieser T echniken ist eine hochst ausdruckßtarke Musikaufführung, die diejenigen, die sie horen, tiefbewegt und ergreift. Durch deren Gebrauch erzeugt man die Wirkung eines Spiels "aus der Seele", d.h. eines Spiels aus der Seele vom Standpunkt des ZuHörers her gesehen.